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Experten-Interview: Der Sektor Wasser in Saltillo

Interview mit den Wasser-Experten im City Lab Saltillo

Marc Beckett, Innovationsfeld Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung  am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB)

Ricardo Reyes Alva, Innovationsfeld Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB)

Als zentrales Element des Lebens auf der Erde ist Wasser in seinen vielfältigen Formen tief mit den Auswirkungen des Klimawandels verbunden. Laut dem UN-Weltwasserentwicklungsbericht 2020 waren rund 74 % aller Naturkatastrophen zwischen 2001 und 2018 wasserbedingt. Schmelzende Gletscher sind längst zum Symbol für die globale Erwärmung geworden und verdeutlichen den massiven Einfluss lokaler Phänomene auf das globale Klima. Um ein nachhaltiges Wassermanagement im Sinne der Ressourcenschonung und des Klimaschutzes zu erforschen und entsprechende Lösungen zu finden, müssen alle Vorkommen, Prozesse und Zustände des Wassers von den Wetterbedingungen bis hin zur menschlichen Nutzung einbezogen werden.

Aus diesen Gründen wurde in allen drei Pilotstädten der Morgenstadt Global Smart Cities Initiative (MGI) der Wassersektor als Fokusbereich gewählt. Die lokalen Gegebenheiten von Kochi (Indien), Saltillo (Mexiko) und Piura (Peru) stellen jeweils einzigartige Anforderungen an die Gestaltung einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Um mehr über die Herausforderungen und Möglichkeiten in jeder Stadt zu erfahren, haben wir die MGI-Wasserexperten gebeten, uns einige Einblicke in ihre Arbeit in den MGI City Labs zu gewähren.  

F.: Welche Methode wurde für die Identifizierung des Sektors Wasser genutzt und was sind die Gründe für die Auswahl des Sektors in Saltillo?

Der erste Schritt der Morgenstadt-Methodik beinhaltet eine High-Level-Stadtbewertung von 28 Indikatoren aus verschiedenen Bereichen der Stadt und ihrer Bevölkerung. Die Ergebnisse ergaben einen hohen Handlungsbedarf für den Wassersektor in Saltillo und führten zu einer Auswahl für eine detaillierte Untersuchung im Rahmen des City Labs. Saltillo liegt in einer semiariden Region und die Auswirkungen des Klimawandels bedrohen die Wassersicherheit in Saltillo. Gleichzeitig verschärft sich die Problematik um Überschwemmungsereignisse. Saltillos Bevölkerung wächst ebenso wie industrielle Aktivitäten in der Stadt. Daher wurde die Entscheidung, den Wassersektor in die Analyse einzubeziehen, während des Kick-off-Meetings getroffen.

F.: Welches sind die wichtigsten Faktoren bei der Wasserwirtschaft in Saltillo? Welche spezifischen Herausforderungen und Möglichkeiten gibt es in der Stadt beim Thema Wasser?

Die geografische Lage von Saltillo stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Höhenlage und geringen Niederschläge in Kombination mit den begrenzten Ressourcen aus Oberflächengewässern erzeugen einen großen Druck auf die Grundwasservorkommen. Dieser Umstand führt zu einer Übernutzung der Grundwasserleiter und einer konkurrierenden Nachfrage für Industrie, Landwirtschaft und vor allem für häusliche Zwecke. Die größte Herausforderung wird es sein, diese Ansprüche bei abnehmender Grundwasserverfügbarkeit in Einklang zu bringen, während die Stadt und ihre industriellen Aktivitäten weiter wachsen. Die Suche nach alternativen Wasserquellen in der Stadt wird als ein wichtiges Element zur Erhöhung der Wasserresilienz identifiziert.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der enormen horizontalen Ausdehnung der städtischen Wohngebiete. Dies führt dazu, dass die Wasserversorger ihre Anstrengungen zur Instandhaltung und zum Ausbau eines langen Wasserversorgungs- und Kanalisationsnetzes erhöhen müssen, was das Risiko von Wasserverlusten erhöht.

Außerdem gibt es in Saltillo etwa 30 Wasserläufe, die sich alle in einem schlechten ökologischen Zustand befinden, hauptsächlich, weil sie verschmutzt sind aber auch auf Grund der städtebaulichen Entwicklung, die zu einer Veränderung oder Blockierung der natürlichen Verläufe der Gewässer geführt hat. Daher hat sich die natürliche Abflusskapazität dieser Gewässer verringert, was unter anderem das Auftreten von Hochwasserereignissen innerhalb der Stadt begünstigt.

Die flächendeckende Sammlung von Regenwasser stellt in Saltillo eine Herausforderung dar. Die jährliche Niederschlagsmenge ist sehr gering und fällt größtenteils innerhalb eines kurzen Zeitraums. Entsprechende bauliche Maßnahmen wären sehr teuer und hätten nur einen kleinen Nutzen.

Die obengenannten Herausforderungen bergen gleichzeitig auch große Chancen. Insbesondere die Rückgewinnung von behandeltem Abwasser aus den Kläranlagen ist eine große Möglichkeit, die Wassersicherheit in Saltillo zu erhöhen. Die Nutzung von gereinigtem Abwasser für Brauchwasserzwecke (z.B. Prozesswasser, Bewässerung etc.) kann die Frischwasserentnahme reduzieren und den Druck auf die Grundwasserquellen verringern. Erste Schritte wurden mit der Linea Morada (Purple Line) unternommen, um kommunales Abwasser als Brauchwasser in den angrenzenden Industrieparks wiederzuverwenden.

Die Wasser- und Abwasserinfrastruktur von Saltillo ist gut entwickelt, so dass eine Erweiterung des Systems möglich wäre, wenn zusätzliche Aufbereitungsschritte auf den Kläranlagen implementiert würden, um eine hohe Qualität des Abwassers zu gewährleisten. Die Auslegungskapazitäten der Kläranlagen sind noch nicht voll ausgeschöpft und würden mehr Raum für zukünftige Anschlüsse lassen. Große Chancen ergeben sich auch durch die starke Präsenz der lokalen Wasserbetriebe, die in der Stadt einen guten Ruf haben. Als ausführende und operative Akteure stellen sie einen großen Gewinn für zukünftige Maßnahmen dar. Darüber hinaus hat die Analyse gezeigt, dass für viele wichtige Aspekte des Wassersektors ausreichend Daten zur Verfügung stehen (z. B. zum Grundwasser, zum Wasserversorgungssystem usw.), was ein großer Vorteil für die Identifizierung von Projekten zur Förderung der Anpassung an den Klimawandel im Wassersektor von Saltillo ist.

F.: Welche Strategien und Werkzeuge werden genutzt, um innovative Lösungen im Bereich Wasser für die Verbesserung des Nachhaltigkeitsprofils sowie der Resilienz der Stadt gegenüber Klimarisiken zu finden?

Die Liste der Indikatoren und Handlungsfelder in Bezug auf den Wassersektor in Saltillo ist sehr umfangreich, um den aktuellen Zustand und die zukünftigen Potenziale möglichst ganzheitlich zu bewerten. Die Zusammenarbeit mit den lokalen Stakeholdern wie Aguas De Saltillo, IMPLAN, kommunalen Einrichtungen und Industrievertretern ist sehr fruchtbar, um den aktuellen Status des Wassers in Saltillo sowie seine Herausforderungen und Chancen zu verstehen. Insbesondere die industriellen Interessenvertreter spielen eine wichtige Rolle, da die verarbeitende Industrie in Saltillo auf eine stabile Wasserversorgung für die zukünftigen Betriebe angewiesen ist.  

Es wurden viele Interviews mit Stakeholdern aus dieser Gruppe sowie mit Vertretern öffentlicher Stellen geführt. Zusammen mit dem Expertenteam der Tec de Monterrey wurden die Interviews mit verschiedenen Stakeholder-Gruppen geführt, um gemeinsame Visionen und Unterscheidungen auf dem Weg zu deren Realisierung zu identifizieren.  

Darüber hinaus wurden die kommunalen Entwicklungspläne und Initiativen analysiert, um Strategien zu identifizieren, die bereits diskutiert werden und die durch die Ergebnisse des City Labs ergänzt oder unterstützt werden können. Ein starker Fokus im Ideenfindungsprozess war die Berücksichtigung möglicher Synergien mit anderen Sektoren, wie Energie und Mobilität, um die positiven Auswirkungen aller Projekte zu maximieren. Basierend auf den durchgeführten Analysen und Interviews entwickelte das Wasserteam eine Reihe von Vorschlägen für umsetzbare Pilotprojekte, die zur Minderung des Klimawandels und zur Anpassung in Saltillo beitragen können. Die Projektvorschläge wurden den Stakeholdern in Saltillo im Rahmen eines Online-Workshops vorgestellt und werden derzeit für die weitere Verwertung ausgearbeitet.

F.: Gibt es schon konkrete Beispiele für Lösungen oder Projekte im Sektor Wasser?

Die Projektentwicklung folgte einem Co-Design-Prozess. Die Stakeholder-Interviews brachten viele wertvolle Erkenntnisse, die zu den vorgeschlagenen Projekten beitrugen. In Bezug auf Wasser ist das Potenzial für die Abschwächung des Klimawandels etwas herausfordernd, da der Wassersektor weniger Emissionen als andere Sektoren beiträgt. Zum Einen könnte das Wasserversorgungsnetzwerk energetisch optimiert werden, um den Stromverbrauch für Pumpen, Ventile und weitere Anlagen zu reduzieren. Zum anderen birgt die Optimierung von Abwasseraufbereitungsprozessen im Hinblick auf die Emission von Methan oder Lachgas, die ein größeres Erderwärmungspotenzial haben als CO2 weitere Potenziale.  Im Wasserbereich denken wir oft eher an die Anpassung an den Klimawandel. In Saltillo wäre ein konkretes Beispiel für eine Lösung die Förderung der Wasserrückgewinnung aus Kläranlagen durch die Weiterführung der “linea morada” für die industrielle Wassernutzung und für die Bewässerung öffentlicher Flächen.

Weiterhin wären aber auch der Ausbau der Kanalnetze sowie zusätzliche Reinigungsschritte in den Kläranlagen erforderlich. Darüber hinaus kann die Förderung der unterirdischen Bewässerung, zum Beispiel im öffentlichen Raum, den Wasserbedarf reduzieren. Mögliche Lösungen für den Umgang mit Wasser in Saltillo umfassen auch digitale und infrastrukturelle Innovationen in verschiedenen Sektoren. Zum Beispiel kann die Förderung von intelligenten Gebäuden oder Stadtvierteln, die erneuerbare Energien mit wassersparenden Geräten in öffentlichen Gebäuden und Haushalten kombinieren, Wassereinsparungen und einen geringeren Energieverbrauch für Pumpen und Heizung fördern.

Diese Projekte können als Leuchttürme für eine weitere Replikation wirken. Eine wichtige Rolle wird auch der Förderung von grüner Infrastruktur innerhalb der Stadtentwicklung zugeschrieben. Urbanes Grün wirkt sich positiv auf das Klima in der Stadt aus und senkt den Bedarf an Klimaanlagen und damit an Strom. Grünflächen erfüllen oft mehrere Funktionen, wie z.B. eine höhere Wasserrückhaltung, Grundwasseranreicherung und Kühlung, laden aber auch dazu ein, mehr Zeit in diesem Bereich zu verbringen. Kombiniert mit nachhaltigen Mobilitätsdienstleistungen könnte man sich grüne Korridore für Fahrradautobahnen, Wanderwege und urbane Erholung vorstellen.

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